No BRAIN – No PAIN

 

Jeder Schmerz entsteht im Gehirn. Aus einen sensiblen Reiz, der aus der Peripherie ankommt, wird nur dann ein Schmerz, wenn er eine unangenehme affektive Färbung erhält. Diese unangenehme affektive Färbung ist notwendig, damit der Schmerz seine Funktion erfüllt, den Organismus vor einem Schaden zu warnen und ihn zu zwingen, sich zu schonen, sich auf diesen Schmerz einzustellen.

 

Bei einem akuten Schmerz ist dies kein Problem.

 

Auch wenn auch der akute Schmerz ohne die Gehirnfunktion nicht auftreten würde, ist ein akuter Schmerz in der Regel kein Grund, den Neurologen zu kontaktieren, denn der akute Schmerz fällt in das Ressort des Fachgebietes, das sich mit den betroffenen Organen beschäftigt, beispielsweise der akute Rückenschmerz in der Orthopädie, der Bauchschmerz in die Innere Medizin oder Chirurgie.

 

Schwieriger wird es, wenn ein Schmerz auftritt, den man mit den Organbefunden nicht erklären kann, oder wenn der Schmerz länger anhält, als dies üblicherweise bei der Erkrankung des betroffenen Organs der Fall ist, wenn der Schmerz also chronifiziert.

 

Helfen einen derartigen Schmerz zu verstehen, ist einer der häufigsten Gründe, den Neurologen zu kontaktieren.

 

-     unerklärliche akute Schmerzen kann der Neurologe durch seine topographischen Kenntnisse besser als andere einer bestimmten Körperregion zuordnen und hier nochmals gezielte Diagnostik durchführen, zum Beispiel Elektrophysiologie oder Veranlassung einer Kernspintomografie

 

-     bei akuten Rückenschmerzen infolge eines Bandscheibenvorfalls kann der Neurologe bei der Zuordnung der Schmerzen zu einer bestimmten Nervenwurzel helfen und so zum Beispiel dem Neurochirurgen helfen in der Erkenntnis, welche Nervenwurzel hauptsächlich betroffen ist und gegebenenfalls operiert werden sollte

 

-     unerklärliche akute Schmerzen können auch Ausdruck einer Nervenentzündung sein, die man trotz modernster Technik auch heute noch nur durch eine gezielte Anamneseerhebung, also durch ein intensives Gespräch mit dem Patienten, in Kombination mit der klinischen Untersuchung mit Reflexhammer und Händen analysieren und verstehen kann

 

-     unerklärliche anfallsweise immer wieder auftretende Schmerzen, wie beispielsweise eine Migräne oder eine Trigeminusneuralgie, kann auch der Neurologe nicht heilen, aber analysieren und oft gezielter behandeln, wenn der Hausarzt nicht weiter kommt.

 

-     unerklärliche chronische Schmerzen kann der Neurologe manchmal durch das Verstehen der Gehirnfunktion besser einordnen und behandeln; dies beinhaltet auch das Verstehen der mit chronischen Schmerzen einhergehenden seelischen Beeinträchtigungen und die Fähigkeit, schmerzbedingte seelische Beeinträchtigungen zu unterscheiden von Schmerzen, die in seelischen Beeinträchtigungen ihre Ursache haben

 

Dies gilt besonders für sehr häufige und die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankungen wie die chronische Migräne, den chronischen Spannungskopfschmerz, den chronischen Rückenschmerz oder die Fibromyalgie. Bei diesen Erkrankungen gibt es in der Regel keine zusatztechnischen Befunde, die sie hinreichend erklären (auch wenn degenerative Veränderungen der Wirbelsäule beispielsweise für einen chronischen Rückenschmerz häufig als Erklärung beigezogen werden).Einen Schmerz zu verstehen erfordert zunächst die Schmerzanalyse – jeder Schmerz hat seine Ursache, eine „Schmerzkrankheit“ gibt es in der Neurologie nicht! In einem zweiten Schritt muss man sehen, ob eine ursächliche Behandlung möglich ist, und wenn sie möglich ist, ob sie auch Erfolg versprechend ist, oder das Risiko birgt, den Schmerz noch mehr zu chronifizieren. So können beispielsweise manche Schmerzmedikamente einen akuten Schmerz hervorragend behandeln, zum Beispiel Opiate oder Migräne-Medikamente. Bei andauerndem Gebrauch unterhalten diese eigentlich hervorragenden Schmerzmedikamente den Schmerz und tragen so zu seiner Chronifizierung bei. Schließlich hat der Patient neben dem Problem durch den Schmerz noch ein Problem mit der Medikamenten-Abhängigkeit.

 

Viele gut gemeinte Schmerzbehandlungen können die Betroffenen in eine Spirale der Abhängigkeit treiben, die am Ende alles schlimmer macht, sei es durch eine falsch indizierte Bandscheibenoperation, sei es durch die Verschreibung kurzfristig schmerzwirksamer Medikamente, die auf lange Sicht zur Schmerzchronifizierung beitragen, sei es durch katastrophisierende Aussagen: „Sie haben die Wirbelsäule eines Achtzigjährigen, sie werden nie schmerzfrei werden!“.

 

Das eigentliche Ziel jeder Schmerzbehandlung ist, den betroffenen Patienten zu helfen, möglichst bald wieder in ihr normales Leben zurückzukehren und ihn so vor einer langjährigen Patienten-„Karriere“ zu schützen.